Kontinuität ist nicht per se etwas Gutes

Union trennt sich nach knapp 1½ Spielzeiten von Jens Keller und macht André Hofschneider zu seinem Nachfolger. Eine Entscheidung, die bestenfalls streng und konsequent ist.

Als ich vor ziemlich genau einem Jahr nach der Hinrunde 2016/17 für Spielverlagerung Union unter Keller analysiert habe, stand in meinem Fazit unter anderem Folgendes:

Das galt auch für die Hinrunde Unions, in der das tatsächliche Problem öfter in mangelnder Erschließung für die offensive wichtiger Zonen lag. Wenn sich die Mannschaft von Jens Keller in diesem Aspekt verbessert, gehört sie zu den ersten Herausforderern für den Aufstieg in die Bundesliga.

Ungefähr eine Saison später ist Union noch immer ein Aufstiegskandidat in der Zweiten Liga, hat aber genau in diesem Punkt keine Schritte in die richtige Richtung gemacht.

Stattdessen sah man in den letzten Wochen eine recht extreme Variante dieses Szenarios, ebenfalls aus diesem Artikel:

[Mit der Verpflichtung Polters] einher geht auch eine Entscheidung, das direkte Element im Angriffsspiel zu forcieren, statt zu versuchen, ein komplexeres Ballbesitzspiel zu entwickeln. Mit mehr individueller Qualität im Sturmzentrum wird sich Union in dieser Disziplin mit Polter wohl tatsächlich verbessern, verzichtet aber gleichzeitig darauf, eine Strategie zu verfolgen, mit der eventuell ein noch höheres Niveau hätte erreicht werden können.
Bar Pressing

Hätten sich Jens Keller und Henrik Pedersen nicht in einem türkischen Hotel, sondern in einer Bar in Genoa kennen gelernt, wäre dies die passende gewesen.

Weil nun zuletzt auch die Ergebnisse fehlten, wurden gestern Jens Keller und Henrik Pedersen 'freigestellt.' Da steht "weil," auch wenn sich nicht mit Sicherheit sagen lässt, dass wirklich rein sportliche Gründe für die Entscheidung ausschlaggebend waren.

Konstatieren lässt sich dagegen, dass es sportliche Gründe für eine Veränderung gab - ohne schon darüber zu urteilen, ob diese Gründe gewichtig genug waren, die Entscheidung letztlich zu rechtfertigen. Die sportlichen Probleme habe ich in diesen Seiten im Verlauf dieser Saison ebenso erwähnt wie Julia gestern in ihrem Kommentar zu Kellers fünfzigstem und letztem Spiel mit Union. Union weigert sich oft, offensiv spielerische Lösungen zu suchen. Felix Kroos setzt im Spielaufbau keine Akzente, vor allem nicht, wenn er sich neben die Innenverteidiger fallen lässt.Und die Mannschaft ist außer Stande, Spiele mit Ballbesitz zu kontrollieren, vor allem wenn das nach Führungen angezeigt wäre.

Zu diesen Schwächen im Ballbesitzspiel kamen in dieser Saison auch noch Phasen, in denen Union in seiner Kernkompetenz Pressing nicht effektiv war - sei es, weil wie zu Saisonbeginn oder auch in Bochum Wege unkoordiniert oder nachlässig/unpräzise gegangen wurden, oder weil Gegner wie Heidenheim sich Unions Pressing entzogen, indem sie das Spiel nicht dort aufbauten, wo es hätte effektiv sein können.

Was beide Themenfelder zeigen, ist dass es Unions Trainerteam in den letzten 12 Monaten nicht gelang, auf Probleme mit Anpassungen in der Ausrichtung der Mannschaft zu reagieren. Das gilt sowohl auf der mittelfristigen, strategischen Ebene als auch in laufenden Spielen, in denen das Repertoire von Auswechslungen und Umstellungen eher Neuhausche Level von Variabilität aufwies. Allzu oft beschränkten sich offensive Wechsel darauf, einen zusätzlichen Stürmer einzuwechseln oder einen der Außen positionsgetreu zu tauschen. (Von der obligatorischen Kroos Auswechslung, oft für einen dynamischeren, mehr nach vorn drängenden Spieler, einmal abgesehen.)

So ist das fehlende Vertrauen in die sportliche Entwicklungsfähigkeit der Mannschaft in der bisherigen Konstellation, dass der Verein in der knappen Bekanntgabe des Wechsels äußerte, zumindest nachvollziehbar. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass darin die ganze Wahrheit der Entscheidung liegt; dass es nicht auch Gründe für eine weitere Zusammenarbeit gibt oder gab; und erst recht nicht, dass die Alternative zwingend besser ist. Aber Anzeichen auf eine rasche Verbesserung fehlten zuletzt.

Das zu sagen lässt aber offen, ob die Lage schlecht genug war, eine Entlassung zu rechtfertigen. Auch dafür finden sich aber Argumente. Union hat, trotz eines ordentlichen vierten Tabellenplatzes, in dieser Saison kaum wirklich überzeugende Spiele gemacht. Der Auftaktsieg in Ingolstadt war durchaus wacklig und gelang gegen einen Gegner, der noch einige Monate brauchte, sich in der Zweiten Liga zu finden. Bei deutlichen Siegen gegen die Abstiegskandidaten Lautern und Fürth profitierte Union von deren Verunsicherung und günstigen Spielverläufen. So bleibt vielleicht das 1-0 gegen St. Pauli als die beste Leistung der Saison, als man zwar einige hochkarätige Chancen zuließ und erst sehr spät traf, aber mit dem Ball kontrollierter und ruhiger umging als sonst in dieser Hinrunde. Als deren überzeichnete Allegorie bleibt das 4-3 gegen Kiel (immerhin eine von nur zwei Niederlagen des Tabellenführers). Es zeigte Unions defensive Anfälligkeit genau wie individuelle Brillanz in der Offensive, die in der Folge nicht systematisch untermauert wurde.

Hofi

Photo: André Hofschneider in seiner ersten Amtszeit als Cheftrainer, Photo: Stefanie Fiebrig

Der Weg nach vorn

Die zweite Hälfte der Entscheidung vom Montag ist, dass bis auf weiteres André Hofschneider dauerhaft Cheftrainer Unions ist. Als Hofschneider diese Position nach der Demission von Sascha Lewandowski kommissarisch einnahm, gelangen ihm ordentliche Ergebnisse. Taktisch gab es in dieser Phase durchaus positive Impulse, im 433 als Standardsystem fand man eine Ausrichtung, die zu den Qualitäten recht vieler Spieler passte, und einige recht erfolgreiche Variationen auf dieser Grundlage. (Es gab aber auch ein unrühmliches Spiel in Fürth, als Union mit einem grotesk besetzten 442 chancenlos war.)

Als besonders Ballbesitz-orientiert fiel Hofschneider damals freilich nicht auf. Das könnte sich in der Zwischenzeit - in der Hofschneider den 'Fußball-Lehrer' Kurs absolviert hat, um auf genau die jetzt eingetretene Situation vorbereitet zu sein - aber durchaus geändert haben. Die Spiele im Frühjahr 2016 sind zwar mehr oder weniger alles, worauf man sich berufen kann, um Hofschneiders Tätigkeit in dieser Saison zu antizipieren, aber eine besonders gute Basis dazu sind sie nicht.

Aber es gibt doch noch die Spiele von Unions U19 in der Bundesliga? Ja, die gibt es, sie haben mit der ersten Mannschaft aber nur bedingt zu tun. Denn erstens sind die Ziele eines Ausbildungstrainers gänzlich andere als die im Profi-Bereich - statt Ergebnissen und langfristiger Entwicklung der Mannschaft geht es dort primär um die Entwicklung einzelner Spieler - und zweitens ist Unions U19 in Bezug auf Saisonziele und relative Qualität in der Liga in einer deutlich anderen Ausgangsposition als die Zweitligamannschaft. Anmerken kann man aber trotzdem, dass in einigen Spielen von Hofschneiders A-Jugend die Leistungen besser waren als die Ergebnisse und die Mannschaft versucht hat, guten Kombinationsfußball zu spielen.

Hofschneider ist als Cheftrainer keine offensichtliche Verbesserung, und ein weniger programmatischer Impuls als es Sascha Lewandowski oder Keller/Pedersen waren (vielleicht vor allem wegen letzterem). Bewertungen seiner Ernennung verbieten sich zwar, bis es zu bewertende Leistungen gibt. Kritische Fragen an diesen Schritt stellen sich aber von selbst.

vgwort