Wir haben den Ball und wir werden ihn benutzen

Union verliert im Heimspiel gegen ein gutes Aue zuerst die Ordnung und dann das Spiel.

Dass Aue sich zutraut, trotz ihrere Tabellensituation Fußball zu spielen, war auch vor diesem Spiel schon bekannt und galt bereits in der Zeit vor dem Trainerwechsel vor einem Monat, bei dem Pavel Dotchev durch Domenico Tedesco ersetzt wurde.

Expected goals Karte

Die Expected Goals Karte des Spiels. Unions Offensivpräsenz war, gemessen an den nah am gegnerischen Tor angekommen Pässen, etwas größer als in Hannover, allerdings ist das im Kontext eines insgesamt offeneren Spiels zu sehen. Die wenigen Abschlüsse Unions kamen aus guten Positionen, waren aber suboptimal vorbereitet.

Neu ist seitdem dagegen das Grundsystem, ein 523/343 mit etwas asymmetrisch offensiven Flügelverteidigern, das die Qualitäten in Aues Kader gut nutzt und defensive Schwächen verminderte. Aue verfügt, gemessen an den Möglichkeiten des Klubs, über phänomenal große spielerische Qualität, und das, obwohl der sehr talentierte Mirnes Pepic nicht einmal spielt. Aber auch die Innenverteidiger, die Flügel Rizzuto und Hertner oder Nazarov schrecken nicht davor zurück, auch in Drucksituationen spielerische Lösungen zu finden. Aue will und hat den Ball und wird ihn benutzen.

Grundausrichtung

Domenico Tedesco ließ seine Mannschaft gegen Union in dieser 523 Ordnung auflaufen, rotierte dabei aber das Personal ein wenig, sodass die leicht angeschlagenen Tiffert und Adler nicht im Kader standen. Die Mittelfeldpositionen, die viel spielerische und läuferische Last tragen, wurden also von Mario Kvesić und Philipp Riese statt Tiffert besetzt - vor allem Kvesić ist ein sehr interessanter Spieler. Auf (von) der rechten offensiven Außenbahn spielte Sören Bertram für den Traumtorschützen Adler.

Jens Keller behielt dagegen sowohl Formation und Ausrichtung als auch das Personal aus dem Spiel gegen Hannover bei.

Union

Die Aufstellungen zu Beginn. Eroll Zejnullahu fehlte auch auf der Bank.

Pressingvergleich I

Überraschender als Aues ambitioniertes spielerisches Konzept war, dass es mit einem hohen Angriffspressing einherging. Im 523 Grundsystem würde das ein großes Risiko darstellen, da Union im Mittelfeld deutliche Überzahl hätte, wenn es gelingt, die erste Pressinglinie zu überspielen.

Um dieses Risiko zu minimieren ließ sich Pascal Köppke aus dem Sturmzentrum oft in den Sechserraum Unions fallen, um dort Pässe auf Dennis Daube zu verhindern oder ihn nach Anspielen aus der Abwehr unter Druck zu setzen. Indessen störten die Außenstürmer Nazarov und Bertram Unions Spielaufbau, indem sie Toni Leistner anliefen, sobald Unions Abwehrchef den Ball erhielt. Dabei bemühten sie sich, Puncec und Trimmel, die meist mit Leistner die Aufbaudreierkette in Unions Spiel bildeten, in ihren Deckungsschatten zu nehmen, also die Passwege auf sie zu versperren.

Pässe FCU

Dass Pedersen recht isoliert war lag, wie die Passgraphik für Union zeigt, vor allem daran, dass er in der Spieleröffnung nicht eingebunden war, die eher über Trimmel und Daube lief. Dass Mesenhöler eine prominente Rolle in Angriffen mit Abschlüssen spielte spricht nicht für diese Angriffe.

Weil in der Folge auch Rizzuto weit aufrückte und Pedersen wenig Zeit und Optionen ließ, hatte Union oft nur anspruchsvolle Möglichkeiten, im Aufbauspiel direkt das zentrale Mittelfeld zu suchen.

Gelang es Union einmal, die erste Pressingwelle zu überspielen, ließen sich die Flügelverteidiger und zwei der Stürmer fallen, so dass drei Auer im Mittelfeld Pässe in die ohnehin engen Schnittstellen der Fünferkette verstellten, in der gegen alle Union Stürmer bei direkten Bällen in Überzahl verteidigt werden konnte. Phasen, in denen Union in Ballbesitz geduldig nach Lücken in diesem Verbund suchte, waren aber auch sehr selten, häufiger führten Angriffe zu Halbfeldflanken, die immerhin einen gefährlichen Abschluss von Polter vorbereiteten.

Fehler

An dieser Stelle bietet es sich an, auf den Grund einzugehen, den bei Union von Jens Keller über Felix Kroos bis zu Toni Leistner alle für die Niederlage nannten: eine viel zu hohe Fehlerquote im Ballbesitzspiel.

Aus taktischer Perspektive ist so etwas nicht problemlos einzuordnen: Natürlich variieren die Tagesform sowohl einzelner Spieler als auch, weil Fußball ein kollektives Unterfangen ist, einer Mannschaft. Auch ohne systemische, taktische Gründe kann man also ein 'fehlerbehaftetes Spiel' abliefern.

Aber analytisch ist es auch unbefriedigend und vielleicht auch meistens falsch, das schlicht als primitiven Fakt hinzunehmen. Wie sich taktische Faktoren - etwa, wie schwierig die Pässe sind, die einem Spieler regelmäßig offen stehen - und individuelle Leistung gegenseitig beeinflussen und wo der Einfluss des einen oder des anderen beginnt ist nicht unbedingt leicht zu sezieren.

Zu soetwas wie Kristian Pedersens 45% Passquote hat jedenfalls Aues Anlaufen, dass ihm oft nur Pässe eng an der Außenlinie offen ließ, ebenso beigetragen wie der Umstand, dass Pedersen nach seiner Verletzung noch nicht vollständig auf seinem vorherigen Leistungsstand angekommen ist.

Pressingvergleich II

Die andere Seite der Medaille zeigte Aue im Angesicht von Unions Pressing, das wieder öfter im 433 gespielt wurde und der Teil des Spiels der Köpenicker war, der trotz gelegentlicher Schwächen im Timing am besten funktionierte.

Die drei Stürmer liefen dabei die Innenverteidiger Aues an, denen sich zwei Optionen zur Befreiung boten: Anspiele auf die Flügelverteidiger, die entweder für Doppelpässe ablegten oder direkt die Linie entlang nach vorn weiterspielten; oder Pässe ins Mittelfeld, die dann möglich waren, wenn Kvesić oder Riese sich dort schneller freilaufen konnten als die Union-Angreifer ihren Deckungsschatten mit sich ziehen konnten.

Pässe

Auch wenn es strukturell richtig ist, Hertner und Rizzuto als offensive Flügelverteidiger zu beschreiben und deshalb von einem 523 zu reden, zeigt die Passgraphik, dass sie am Ball auf einer Höhe mit dem Mittelfeld spielen. Außerdem sind Köppkes Ausweichen und Bertrams Beweglichkeit ebenso zu sehen wie Kvesićs Präsenz bis zu seiner frühen Auswechslung.

Die Erfolgsquote dieser Bemühungen war letztlich nicht (viel) höher als die in Unions Spiel. Die unterschiedliche Bewertung beider Mannschaften hat also auch viel mit Erwartungsmanagement zu tun.

Dass Aue allerdings durchaus zu einigen guten Durchbrüchen auf den Außen und durch die Halbräume, vor allem über Nazarov im Zusammenspiel mit Kvesić, kam, hatte auch damit zu tun, dass Steven Skrzybski sich bei Auer Ballbesitz nicht an Hertner, sondern weiter der letzten Linie Aues orientierte. Diese Zuordnung, die vielleicht die potentielle Gefahr offensiver eins-gegen-eins Duelle und die Chance auf Läufe hinter die Abwehr erhöhen sollte, hatte defensiv problematische Folgen. Schaltete sich Hertner ins Angriffsspiel in Unions Hälfte ein, musste immer wieder Kroos herausrücken, um ihn mit zu verteidigen, wodurch Lücken im Zentrum entstanden und Kroos eventuell etwas zu sehr beansprucht wurde.

Alte Offensivstaffelungen

Wie zuletzt schon einige Male wechselte Jens Keller Philipp Hosiner für einen zentralen Mittelfeldspieler ein und stellte so die Formation auf 442 um. In diesem Spiel hatte das zur Folge, dass Probleme in der Offensivstaffelung wiederkehrten, die Union Beobachter aus den Zeiten von Norbert Düwel und Uwe Neuhaus kennen.

Oft standen die beiden Stürmer und die Flügelspieler sowie hin und wieder auch einer der Außenverteidiger in der letzten Linie und warteten auf Anspiele, die wenn überhaupt nur schlecht vorbereitet kamen. Da Union in diesen Situationen mit 235 Staffelungen die Auer Defensivformation spiegelte bedeutet, dass es so nicht einmal Überladungen der offensiven Räume gab.

Expected goals Verlauf

Die Abfolge der Torchancen. Union produzierte vor allem in der zweiten Halbzeit sehr wenig. Aue hatte mehr Abschlüsse und insgesamt leichte Vorteile. 'Infos zur Graphik'

Enstprechend fiel die Schlussoffensive nach Aues Führung aus.

Szene des Spiels

Eine der ersten Spieleröffnungen von Aue (nach 5:00 AFTV), bei der Männel durch die erste Pressinglinie Kvesić anspielte, der mit einem Dribbling gegen Kroos und Kreilach einmal schnell zeigt, was pressingresistent bedeutet und das Spiel auf den rechten Flügel verlagert.

Weil Pedersen dort Rizzuto den Weg nach vorn versperrt, müssen die Gäste nocheinmal hinten herum spielen. Diesmal bekommt Unions Pressing Zugriff und zeigt mit dem Ballgewinn das einzige Element im Spiel, das (zeitweise) ungefähr auf Normalniveau funktionierte.